Erwin Wurm
Balzac, 2024
In unzählbare Schichten von Kleidung gehüllt steht sie da, wandelt leicht. Nur die Füße lassen erahnen, dass die Figur unter dem Textilberg menschliche Form annimmt. Balzac heißt der anonyme Kleiderberg, benannt nach der gleichnamigen Skulptur von Auguste Rodin, einem Denkmal für den französischen Literaten Honoré de Balzac. Faltung und Textur erinnern an Werke der Antike, insgesamt entfacht der Balzac in Schwante ein ganzes Feuerwerk von Suggestionen, Referenzen sowie kunsthistorischen und -theoretischen Fragen.
Erwin Wurm, geboren 1954 in Österreich, verarbeitet die Geschichte der Bildhauerei und ihrer institutionellen Rahmenbedingungen in der Gegenwart wie kein anderer. Mit seinen One-Minute-Sculptures durchbrach er die Grenzen zwischen Skulptur und Performance, mit seinen disproportionalen Architekturen und aufgeblasenen Automobilen wandelte er den Raum zur Skulptur und überwand die Grenzen zwischen Bildhauerei und installativer Raumkunst. Erwin Wurms Werke rufen oft explizit zur Interaktion auf, aber sie verlangen ihrem Betrachter immer ein enormes Maß von Aufmerksamkeit ab.
Kein Wunder deshalb, dass sich Erwin Wurm auf einen Vorreiter der Moderne, Auguste Rodin, in seinem Werk bezieht. Rodin war der erste Künstler, der sich traute, die traditionelle Kunst der Bildhauerei durch fortschrittliche Abgussverfahren zu vervielfachen. Mittels sogenannter „Positive“ konnten Skulpturen, die sonst nur durch individuelle Handarbeit multipliziert wurden, auf diese Weise fast schon „industriell“ kopiert werden. Zugleich machte Rodin damit die Unfertigkeit, die Unvollständigkeit von Bildhauerei sichtbar. Indem er die Nähte der Güsse nicht abschliff, sondern als Teil seines Konzepts zur Schau stellte, griff den Zustand der damals noch jungen Moderne auf. Erwin Wurm hingegen gesellt sich zu dieser Tradition: Auch “sein” Balzac könnte in immer mehr und mehr Kleidungsschichten gehüllt werden - der gegenwärtige Konsumkapitalismus kennt kein Ende.
Erwin Wurms Werke sind in den wichtigsten internationalen Sammlungen vertreten, darunter die National Gallery of Victoria (Melbourne), Albertina Wien, Louisiana Museum of Modern Art, Centre Pompidou, Berlinische Galerie, Tate London, MoMA Museum of Modern Art New York, und vielen anderen. Er vertrat den österreichischen Pavillon bei der Biennale in Venedig und wurde in fast allen wichtigen Museen, Biennalen und Weltausstellungen in Gruppen- und Einzelausstellungen gewürdigt.






