Esra Gülmen
Controversy Teeter/Totter, Yes/No, 2025
I WAS I AM, 2025

Esra Gülmens (geboren 1986 in Istanbul) Arbeiten bewegen sich zwischen Aussage und Auslassung, zwischen Typografie und Körper, zwischen Kunst und Kommunikation. In Schwante zeigt die in Berlin und Istanbul lebende Künstlerin zwei Werke, die exemplarisch für ihre künstlerische Praxis stehen: eine rote Wippe aus der Serie Controversy Teeter-Totters, auf deren Enden die Worte „Yes“ und „No“ stehen – und eine Flagge, mit der Aufschrift “I WAS I AM”. Beide Arbeiten kreisen um Fragen der Identität, der Selbstbehauptung und der gesellschaftlichen Zuschreibung.

Die Wippenarbeiten sind Teil einer Werkreihe, die Begriffspaare und gleichzeitige -gegensätze physisch erfahrbar macht. In der Tradition von Spielgeräten entstehen Skulpturen, die durch ihr einfaches Funktionsprinzip zum Dialog durch Konfrontation einladen. Die Begriffe stehen sich nicht nur gegenüber, sie kippen, balancieren, schlagen zurück. Was auf den ersten Blick grafisch und verspielt wirkt, entpuppt sich im Raum als physische Metapher für komplexe Aushandlungsprozesse: zwischen Systemen, zwischen Perspektiven – und zwischen Menschen.

Auch die Flagge I WAS I AM ist mehr als ein sprachliches Spiel. Der durchgestrichene Satzteil verweist auf Überwindung, auf Transformation – oder auch auf Selbstermächtigung. Sprache wird hier nicht nur zum Mittel der Aussage, sondern zum Ort der Handlung. Durch das bewusste Sichtbarmachen - wie schon in der Anwendung von Typographie bei Jean-Michel Basquiat - des Ausgelöschten schafft Gülmen einen Moment der Verdichtung: Vergangenheit und Gegenwart stehen gleichzeitig im Raum.

Geboren 1986 in Istanbul, studierte Gülmen zunächst Innenarchitektur und war später mehrere Jahre als Designerin in internationalen Agenturen tätig – unter anderem als Head of Design bei Heimat Berlin und als Design Executive Officer bei Ogilvy. 2021 entschied sie sich, die Werbebranche hinter sich zu lassen und sich vollständig der Kunst zu widmen. Diese Herkunft bleibt in ihren Arbeiten spürbar: in der Klarheit der Form, der Wirksamkeit der Sprache und dem präzisen Einsatz von Material.

Ihre künstlerische Praxis umfasst Skulptur, Installation, Typografie, Malerei – und immer wieder Sprache. Worte werden durchgestrichen, verpixelt, verkachelt. Gülmen nutzt diese gestalterischen Eingriffe nicht, um Inhalte zu löschen, sondern um sie zu betonen. Das Nicht-Gesagte wird zum Zentrum der Aufmerksamkeit, das Verdeckte zur Projektionsfläche. „Censorship creates desire“, sagt sie – und macht die Mechanismen des Unsichtbarmachens selbst sichtbar.

In Schwante wird diese Haltung spürbar – in der Schwingung der Wippe, im flatternden Moment der Flagge. Zwei Werke, die sich nicht auf Antworten festlegen, sondern den Möglichkeitsraum zwischen den Begriffen öffnen.

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Jay Gard

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